Global Village (die Konferenzen)
Global Village 1995
Global Village 1996
Global Village 1997
Global Village 1999

1999 waren wir beteiligt an der NGO Internet Fiesta und - in neuer Zusammensetzung - an "Global Village 99" Das geplante 4. internationale Global Village Symposium mußte leider abgesagt und auf unbestimmte Zeit vertagt werden.

 
Architektur und Stadtplanung
im Zeitalter der Telekommunikation
Technische Universität Wien
Juni 1993
   
KEINE NEUE BAUWEISE - EINE NEUE LEBENSWEISE TUT NOT

Blickt man auf die Disziplinen, die in diesem Symposium zusammengeführt werden sollen, so fällt zuerst auf, daß es sich dabei offensichtlich um einen Versuch handelt Widersprüche zu vereinen, Einhegung” und Entgrenzung” als Aspekte eines größeren Ganzen zu begreifen.

Historisch betrachtet läßt sich weiters feststellen, daß es sich bei diesem Bemühen darum handelt, die älteste der Ingenieurkünste, die Architektur, der jüngsten zu vermählen. Darf man dieser neuen Liaison bedenkenlos Glück für eine neue Zukunft wünschen? Werden die Auguren und die Hüter von Recht und Ordnung bereit sein ihren Segen zu geben und damit zum Ausdruck bringen, daß es sich dabei um ein wohlgefälliges und anständiges Bündnis” handelt, dem Bestand zu wünschen und zu prophezeien ist?

Die Antworten auf solche Fragen sind gesellschaftsbezogen. Was wohlgefälig ist, war bis vor nicht allzu lange Gottes Urteil anvertraut. Seit E. Durkheim wissen wir aber, daß Gott die Gesellschaft ist und so kommt es, daß die Rolle der Auguren nun Sozialwissenschaftern zufällt.

Als solcher bin ich zwar nicht berufen, dem Bund den Segen fürs Leben zu erteilen, doch solches steht im Zeitalter einer um sich greifenden Single-Kultur” sowieso nicht zur Debatte. Bei den heutigen Verhältnissen kommt es vielmehr darauf an, einen Ehekontrakt zu entwerfen, der alle möglichen Eventualitäten berücksichtigt, die eintreten können, wenn der Charme der greisen Architektin den schmucken Telemacher nicht mehr in ihren Bann schlägt.

Somit beginnt sich meine Aufgabe und Rolle zu präzisieren:

Aus dem Kaffeesud lesend die Zeichen der Zeit zu deuten und warnend dort und da die Stimme heben, ohne deshalb gleich mit Kassandra in Konkurrenz treten zu wollen.

Nicht grundlos habe ich zuvor von einer Single-Kultur” gesprochen. Es scheint ein hervorstechendes Charakteristikum unserer Zeit zu sein, daß Einpersonenhaushalte in beachtenswerter Weise im Zunehmen begriffen sind.

So hat sich, nach Angaben des Statistischen Zentralamts, die Zahl der Einpersonenhaushalte österreichweit von 1951 bis 1990 von 17,5% auf 28,5% erhöht, wobei ein weiteres Ansteigen erwartet wird. Solche Haushalte sind vor allem ein städtisches Phänomen. Daher wurden 1991 in Wien allein 41,4% aller Haushalte als Einzelhaushalte registiert. In Deutschland und anderen industrialisierten Ländern finden sich allerdings Städte, wo diese Zahl bereits über der 50% Marke liegt. Es weist sich demnach die Tendenz aus, daß diese Lebensform zumindest im urbanen Bereich zur dominanten wird. Nicht unerwähnt bleiben sollte, daß in diesen Zahlen Haushalte, wo ein Erwachsener mit Kind oder Kindern lebt nicht berücksichtigt sind.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältiger Natur, sie hängen auch mit der Verbreitung der Informationstechnologien zusammen, deren zunehmender Konsum sowohl Wirkung, als auch Ursache der konstatierten Tendenz ist. Auf diese Zusammenhänge wird noch näher eingegangen. Zunächst erachte ich es aber für nötig einge prinzipielle Feststellungen vorauszuschicken.

Obwohl ich im allgemeinen kein Vertreter einer biologistischen Bedürfnistheorie bin, die meint, es ließen sich allgemeingültige Hierarchien menschlicher Bedürfnisse aufstellen, bin ich doch davon überzeugt, daß die Majorität der Menschen Gesellschaftstiere” sind, die ihre Fähigkeiten nur im Umgang mit anderen Menschen voll entwickeln können. Die Lobpreisungen hehrer Einsamkeit und Freiheit”, die gerade in akademischen und intellektuellen Zirkeln so besonders gerne betrieben wird, kann nur als Resultat einer spezifischen Sozialisation verstanden werden und keineswegs als Teil einer allgemeingültigen condition humaine”.

Es ist im Gegenteil erwiesen, daß Vereinzelung zu psychopathologischen Erscheinungen führt bzw. zu sozialen Verhaltensweisen, die oft genug das diametrale Gegenteil der Ausgangssituation zum Ziel haben, nämlich die Formierung entpersönlichender Solidargruppen, wie wir sie von street-gangs” oder neofaschistoiden Gruppierungen kennen.

Wie in anderen Fällen auch, führt die Überbetonung einer Qualität zum dialektischen Umschlag in ihr Gegenteil. Aus Lust wird Schmerz, aus übersteigertem Individualismus die romantische Suche nach dem größeren Ganzen, Xenophobie und Intoleranz oder im besten Fall die Flucht in rastloses Reisen, die nicht endende Suche nach Abenteuer, Träumen und damit verbunden massenhaftem Konsum von Symbolen, Drogen und anderen Rauschmitteln, zu denen auch schnelle Autos, Sportflugzeuge und ähnliches zu rechnen sind, als letzte Stütze für Selbstbestätigung und Selbstwertzuschreibung.

Wie meistens in gesellschaftspolitischen Belangen, finden wir uns mit einer Situation konfrontiert, wo man Scylla meidet, um Charybdis zu verfallen, bzw. nur die umsichtige Fesselung eigener Begierden und das Träufeln von Wachs in die Ohren der Gefährten einen Kurs finden läßt, der zielführend den Klängen der Sirenen entkommen läßt.

Offenbar genügt es nicht, eine Technik, sagen wir des Wachs-Einträufelns, zu beherrschen. Man muß darüberhinaus auch wissen, wo Ithaka liegt, und Scylla und Charybdis kennen bzw. erkennen. Mit dieser Metapher wird die Notwendigkeit einer sozialwissenschaftlichen Ausbildung für Ingenieure angedeutet. Denn es erweist sich nur allzu oft, daß am Beginn neuer Technologien kein allgemein verspürtes Bedürfnis nach ihrer Erfindung oder ihrem Einsatz besteht, sondern daß dieser sehr oft erst nacherfunden wird, uzw. meist im Rahmen einer kollektiven Leistung, die im Ersinnen neuer Bedürfnisse besteht. Solche Leistungen wurden etwa im Anschluß an die Erfindung des Phonographen, des Telefons, des Penicillins, oder näher an unserer eigenen Zeit des PC oder von ISDN erbracht.

Die innovativen Tätigkeiten von Ingenieuren sind demnach nicht zwangsläufig ziel- orientiert, sondern öfter als manchmal offenbar ideosynkratisch bis chaotisch. Ihre Produkte sind auch nicht immer zur Besserung der allgemeinen Wohlfahrt bestimmt; vielmehr scheint es so, daß technische Erfindungen,wie die Klänge der Sirenen, gesellschaftliche Kursanpassungen erfordern, deren Sinnhaftigkeit nur dann gegeben erscheint, wenn zuvor schon keine Vorstellung vom Kurs bestanden hat. Allerdings läßt sich diese Beobachtung auch anders interpretieren:

Informatik, wie auch die Architektur und die anderen Disziplinen der Ingenieurtätigkeit, ist nicht nur die Wissenschaft von der Erzeugung von Informationstechnologien und der technischen Verarbeitung von Zeichen. Sie ist, wie sich zunehmend herauszustellen beginnt, eine Sozialtechnologie, deren Arbeitsdomäne das Zusammenleben und das Zusammenwirken von Menschen ist. Dieses gesellschaftsbildende Potential wird oft nicht wahrgenommen, aber mit Bestimmtheit auch genauso oft mehr oder weniger schamhaft verschwiegen. Anschauungsmaterial für diese gesellschaftsprägenden Wirkungen von Technik werde ich Ihnen in Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung mit Telearbeit sofort nachliefern.

Diese Aussagen beinhalten auch eine herbe Kritik an unserer zeitgenössischen Politik, die für Kursvorgaben zuständig wäre. Sie ist gleichbedeutend mit der Feststellung, daß den Künstlern des Möglichen” schlicht der Sinn für das, was im Sozialen und Politischen alles möglich ist, abhanden gekommen zu sein scheint. Lieber starrt man, wie das Kaninchen auf die Schlange, auf die Zerrspiegel der Wirklichkeit, wie sie die politische Statistik anbietet.

Die Kunst des Möglichen”, als welche Politik oft bezeichnet wird, beinhaltet ein Konkurrenzverhältnis zur Kunst der Artefakte, die wir grosso modo den Ingenieuren anheim stellen.Tatsache ist, daß Probleme sehr oft in höchst unterschiedlicher Weise gelöst werden könnten, nämlich durch soziale oder auch technische Innovationen. Das heißt aber in anderen Worten nichts anderes, als daß in unserer Zeit sehr oft Probleme selbst solange bearbeitet werden bis sie zu technischen Problemen werden, dh. einer ingenieurmäßigen Lösung zugeführt werden können und damit offizieller Politik entzogen werden. Werden derartige Lösungsmuster aber zur dominanten Form, dann passiert das gleiche was bereits eingangs im Zusammenhang mit sozialen Entwicklungen konstatiert wurde: Technik wird auch als Politik verstanden, es erfolgt ein radikaler Umschlag zum Gegenteil, Technik wird dann undiskrimierend abgelehnt.

Bringt man diese Beobachtungen auf den Punkt, dann muß zunächst vermerkt werden, daß mit Hilfe technischer Mittel das Soziale bearbeitet wird. Demnach ist aber der Soziologe nicht irgendein Adabei”, der sein Etikett auf die unterschiedlichsten Gegenstände draufklatscht”, wie es in diesem Haus etwas blauäugig noch immer mehrheitlich dargestellt wird. Vielmehr entmystifiziert er, indem er der Vermittlung des Zusammenwirkens und Zusammenlebens der Menschen durch nur scheinbar tote Dinge nachspürt, einen falschen Technikbegriff und gleichzeitig einen nicht mehr zeitgemäßen Gesellschaftsbegriff. Es ist seine vordringlichste Aufgabe auf die oft wenig sachliche Herkunft der Sachen hinzuweisen und auf Wirkungen und Gefahren aufmerksam zu machen, die genau jener Gesellschaftsvergessenheit bei der sachlichen Betrachtung der Dinge entspringen.

Kehren wir nun zu unserer Mesalliance”, der Verbindung von Architektur und Telekommunikation zurück. Die häufigsten Vorstellungen, die damit verknüpft werden sind etwa folgende:

Die Auflösung der räumlichen Trennung von Arbeit und Freizeit, Privatbereich und Öffentlichkeit.

Damit nahezu zwangsläufig verbunden sind Vorstellungen über die Reduktion von Verkehr zusammen mit einer Ökologisierung” der Lebensbedingungen durch größere Streuung der Wohnungen.

Eine nahezu unerschöpfliche Fülle von Information in allen ihren Spielarten, das heißt: Mehr Bildung, mehr Unterhaltung, mehr Kontaktmöglichkeiten auch bei spleenigen Interessenslagen, sowie mehr Zeit für deren Pflege. Diese wird vor allem über Reduktion von Transportzeiten gewonnen.

Mehr Serviceleistungen durch zunehmende Computerisierung. Dazu zählen u.a. Vorstellungen über das intelligente Haus”, das nicht nur Kinder beaufsichtigt, sondern sich auch selbst repariert, bzw. Reparaturen veranlaßt, den eigenen Energiekonsum optimiert u.a. mehr. Eine bereits existierende Variante dieses Typs findet sich in Florida mit dem Namen: XANADU.

Es wird bewohnt von sogenannten TAFFIES, technologically advanced families. Es besteht aus verschiedenen Zentren, dem Energiezentrum, einer elektronischen Küche, wo auch der Ernährungswert der Menues, die angeboten werden, berechnet wird, einem Unterhaltungszentrum, das unter Einsatz von biofeedback”- Mechanismen auch auf die jeweiligen Stimmungslagen der Anwesenden angemessene Unterhaltung bietet. Das Bildungszentrum steht selbstverständlich nicht nur Kindern offen, sondern bietet auch für die Erwachsenen angemessene Weiterbildungschancen. Es verfügt zwangsläufig über alles, was es auf diesem Sektor gibt, Zugang zu allen Bibliotheken der Welt, Simulationsprogramme etwa für Weltraumflüge oder Reisen in einer relativistischen Welt mit Lichtgeschwindigkeit, Breitwandschirme etc. Selbstverständlich findet sich auch ein Büro für die jeweilige Erwerbstätigkeit, sei sie cottage industry” (Heimindustrie), business im Sinn von Geldverkehr und Handel oder Serviceleistung und intellektueller Betätigung.

Bezeichnenderweise sind diese Heimstätten auch gerne in Wüsten imaginiert, also menschlicher Umwelt weitgehend entzogen, wobei es bereits egal bleibt, ob es sich dabei um solche traditioneller Vorstellung handelt, den interstellaren Raum, die Tiefen der Ozeane oder die Gletscherfelder der Polregionen. Der amerikanische Traum vom elektronischen Heim ist vorwiegend asozial, oft nicht einmal mehr auf die Kernfamilie”, sondern nur mehr auf das glückliche, tüchtige Paar zugeschnitten. Dabei sollte nicht übersehen werden, daß auch Intimbeziehungen inzwischen längst zum Experimentierfeld elektronischer, virtueller Wirklichkeiten geworden sind, sodaß die demonstrierte Zweisamkeit vermutlich nur noch eine galante Konzession an antiquierte Vorstellungen und animalische Relikte darstellt.

Es versteht sich von selbst, daß unter derartig wüsten Umweltbedingungen ein Leben ohne die geschilderten Systeme im und ums Haus” kaum erträglich sein dürfte. Doch ist es mit diesen Fortschritten besser zu ertragen? Sind in derartigen Entwürfen Technikfolgen, encounters of a third kind”, in die Überlegungen miteinbezogen und verantwortungsvoll berücksichtgt worden ?

Eine Studie, die in einem halben Dutzend europäischer Länder und in USA durchgeführt wurde und sich mit den Auswirkungen von Telearbeit befaßt kommt zu folgenden Ergebnissen:

Ein gerade für dieses Symposium wichtiges Ergebnis war, daß die erträumte Aufhebung der Trennung von Arbeit und Freizeit in der Praxis des Alltags weniger Freude beschert als erwartet wird. Eine erste Konsequenz daraus ergibt sich bereits für Architekten, denen bei der räumlichen Gestaltung der neuen Heime die Aufgabe zufällt, beide Bereiche klar von einander zu trennen.

Dies Ergebnis steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den in unserer Kultur vorherrschenden Vorstellungen von Zuhause” und Privatheit”. Das Zuhause wird als persönliches Territorium betrachtet und als ein erweitertes Selbst. Seine Bedeutung ergibt sich erst aus einem Wechselspiel von Öffentlichkeit und Selbst, Offenheit und Zurückgezogenheit. Das Heim besitzt demnach eine tiefe psychologische und sozio-kulturelle Bedeutung. Es muß daher einen Schutz vor Einsicht und Ablenkungen, Hintergrundlärm und unerwünschten Störungen bieten. Es ist ferner ein Ort der Entspannung, dessen Eigenschaft durch jemand, der einer beruflichen Tätigkeit nachgeht, empfindlich gestört wird. Arbeitsbereich und Privatbereich müssen demnach getrennt bleiben.

Ein weiteres Ergebnis der Befragung war, daß die Majorität der Angaben eine verminderte Freizeit ans Tagelicht förderte und viele Telearbeiter” sich über übermäßige Isolation und Vereinzelung beklagten. Die Studie empfiehlt daher, daß der Arbeitsraum so plaziert werden sollte, daß visueller Kontakt mit der Außenwelt besteht. Ich meine hingegen, daß das nicht genügt, und statt dessen kommunale Einrichtungen für Telearbeit geschaffen werden sollten, Heim und Arbeitsplatz also auch in Zukunft getrennt bleiben sollten. Meine diesbezüglichen Argumente für die Beibehaltung der Trennung werden nachgereicht.

Ein weiteres Ergebnis ist gleichfalls unerwartet, besagt es nämlich, daß die eingesparte Fahrzeit vielen fehlt. Das kommt daher, daß diese meistens zusätzlich anderweitig genützt wird, eine Vielzahl von Aktivitäten während der Fahrt abgewickelt wird, zu denen vor allem wieder soziale Kontakte zählen. Telearbeiter sehen sich veranlaßt diese Erledigungen und Kontaktnahmen quasi in einem Extraposten ihres Zeitbudgets unterzubringen, sodaß es fraglich wird, ob sich insgesamt überhaupt ein Zeitgewinn ergibt.

Interessant ist auch, daß die prognostizierte Ausweitung der Tätigkeitsfelder bei empirischer Überprüfung nicht feststellbar ist, sondern eher das Gegenteil, insbesondere in Hinblick auf kulturelle Aktivitäten, wie Theater- oder Konzertbesuche.

Kompensatorisch dafür läßt sich ein gewisser Zuwachs an nachbarschaftlichen Kontakten registieren.

Das allgemein feststellbare Phänomen der Zunahme an sozialer Isolation und der Beschränkung der normalen Muster sozialer Interaktionen wird durch Teleheimarbeit nachhaltig eingeschränkt und trifft dabei insbesondere Frauen. Die scheinbare gegebene Flexibilität der Zeiteinteilung etwa zwischen Kinderbeaufsichtigung und bezahlter Arbeit erweist sich als keine geringe Gefahr, indem gesellschaftlich etablierte Ordnungen von Raum und Zeit aufgehoben werden und das Gefühl der Isolierung verstärkt wird. Daraus resultierende Desorientierung geht soweit, daß es bereits Verhaltensanleitungen dafür gibt, wie sich ein Teleheimarbeiter zu verhalten hätte. Dazu zählen Disziplinarstrategien, wie selbsttätige, rigorose Zeiteinteilung was Pausen, Arbeitsbeginn und Ende, etc. betrifft. Aber auch auf dieNotwendigkeit der weiteren Beachtung der Regeln üblicher Bekleidungsvorschriften und Körperpflege wird verwiesen, weil sich offensichtlich als Folge der zunehmenden Isolation auch hier eine Verwahrlosung einstellt, die ihrerseits wieder auf Selbstwertgefühl und Lebenseinstellung negativ zurückwirkt.

Diese Tendenzen werden weiters dadurch verstärkt, daß es im allgemeinen nicht geschätzt wird, wenn beide Partner einer Ehe oder Lebensgemeinschaft zuhause arbeiten. Dieses empirische Ergebnis hängt sicherlich auch mit den architektonischen Voraussetzungen zusammen, unter denen zwei Personen in einem regulären, urbanen Haushalt im allgemeinen leben. Aber unter den üblichen Voraussetzungen scheint die Tendenz weit verbreitet zu sein, daß die alte Rollenteilung von Frau am Herd, Mann außerhalb des Heims tätig nun in eine ähnliche umschlägt, wo der Herd durch Terminal oder PC ersetzt wird.

Man kann daher zusammenfassend sagen: ... technological developments and the increase in telehomework which are occurring are not simply a shift in emphasis or direction. They represent a fundamental, qualitative change. (E.Köhler, et.al., 1988)

Dieser qualitative Wandel ist dabei beides: Ergebnis und Verstärker eines in der gesellschaftlichen Entwicklung sowieso angelegten Trends zur Zunehmenden Isolierung und Auslagerung von Arbeitskräften. Es wächst die einsame Masse” (D. Riesman, 1982) mit zunehmender Beschleunigung.

Diese Entwicklung ist keineswegs positiv, wobei ich mich beeile, nochmals zu betonen, daß die Ingenieure keineswegs Verursacher dieser Entwicklung sind, aber ihre Beschleunigung maßgeblich verstärken.

Können technische Lösungen soziale Entwicklungen aber beschleunigen und verstärken, so müssen sie auch in der Lage sein, das Gegenteil zu bewirken. Es ist bekannt, daß technische Problemlösungen niemals nur eine Realisationsvariante besitzen, sondern immer das Ergebnis einer Serie von Entscheidungen und Auswahlschritten darstellen, bei denen eine Vielzahl nicht-technischer Überlegungen und Einstellungen mitberücksichtigt werden. Wir nehmen es zB. zwar als selbstverständlich hin, daß ökonomische Kalküle in solche Entscheidungen eingehen, wenn etwa bestimmte optimale Werkstoffe aufgrund ihrer Kosten durch weniger geeignet ersetzt werden, die billiger sind. Aber genauso gehen auch politische Einstellungen oder ästhetische Gesichtspunkte ein und es könnten auch ethische und moralische Überlegungen die endgültige Ausprägung von Technologien mitbestimmen.

Akzeptieren wir diese prinzipielle Plastizität technischer Lösungen, dann sollten wir uns die angestrebte Allianz zwischen Architektur und Informationstechnologien im Lichte des Gesagten nochmals genauer ansehen.

Wenn der Trend zur Vereinsamung und Isolation zu gesellschaftlichen Auswirkungen führt, die nicht wünschenswert sind, und diese Tendenzen durch massierte Verwendung von Telekommunikation im Arbeits-. Bildungs- und Unterhaltungsbereich noch verstärkt werden, dann muß diese Potentialität von Anbeginn an Berücksichtigung finden. Es handelt sich ja dabei um offensichtlich tiefgreifende strukturelle Veränderungen in allen Lebensbereichen - von der Kultur bis zum Umgang mit der Natur, von der industriellen Produktion bis zum privaten Haushalt. Damit ergibt sich aber zwangsläufig auch ein Perspektivenwechsel in der Wissenschaft. Es wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht nur zwischen Architektur und Informatik, sondern auch zwischen diesen und den Sozialwissenschaften notwendig, wobei auch hier ein Schritt vom erhobenen Zeigefinger” zum tätigen Mitwirken bei der Gestaltung getan werden muß. Das wird umso mehr bedeutsam, als die sich ankündigende Industrialiserung der Produktion und der Verbreitung von Wissen Konsequenzen zeitigen wird, über die sich Techniker allein wenig Vorstellungen machen können. Ich erwähne in diesem Zusammenhang nur die mit Gewißheit im Konnex von Massenproduktion auftretenden Modeströmungen”, die im Bildungsbereich zu massiver Desorientierung führen müssen.

Doch kehren wir zurück zur Architektur. Schon eingangs wurde die Architektur als eine Kunst bezeichnet, die das Gegenteil der Telekommunikation verwirklicht, nämlich die Herstellung von Nähe. Nicht nur Einfamilienhäuser erreichen diesen Zweck, auch Kirchen, Bürogebäude oder Markthallen und öffentliche Räume, wie etwa Agoren, dienen diesem Zweck. Es bleibt zwar unbestritten, daß Architekten auch Gefängnisse und ähnliche Anstalten schaffen, in denen die Einsässlinge von einander isoliert sind. Aber selbst da werden sie zusammen gehalten und zu einer pervertierten Gemeinschaft gemacht. Architektur erzeugt soziale Nähe und Identifikationen selbst dort, wo sie Wände errichtet.

Die Informatiker hingegen erzeugen Ferne, auch wenn sie glauben, daß durch ihre Tätigkeiten die Entfernungen schmelzen, erzeugen sie Distanz und Trennung.

Ich ahne, daß ich diesen Punkt verdeutlichen muß, obwohl alles, was ich bisher über Telearbeit gesagt habe, eigentlich schon illustrativ genug wäre.

Selbst im Zeitalter der Breitbandkommunikation, der interaktiven Medien und meinetwegen sogar holografischer Bildtelefone, wie sie im EPCOT-Center in Florida phantasiert werden, sprechen diese Medien nur die Fernsinne an. Diese werden nicht von ungefähr so bezeichnet. Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn bleiben im Prozeß der Telekommunikation ungereizt und damit außerhalb des televermittelten sozialen Bezugs. Das wird sich auch über jene neuesten Technologien kaum ändern lassen, die mit Hilfe von Aerosolen und anderen Surogaterlebnissen diesem Mangel Abhilfe verschaffen wollen. Für geraume Zeit wird zweifellos gelten, daß Telekommunikation nicht in der Lage sein wird, die Aura einer sozialen Beziehung zu transportieren. Das haben etwa die beobachteten Verhaltensveränderungen bei der Einführung von elektronischer Post recht deutlich gemacht.

Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang auch bleiben, daß es mit der umfassenden Einführung von Telekommunikation zu nicht unbedeutenden Machtverschiebungen und zur zwangsweisen Bildung neuer Machtzentren kommt, die gepaart sind mit entsprechenden Autonomieverlusten. Anschauliches Beispiel dafür wäre die zunehmend eingeschränkte Entscheidungsfreiheit eines Kapitäns auf hoher See, aber auch die Durchsetzung und Organisation von Arbeitnehmerinteressen sind davon betroffen.

Ein gleichfalls nicht zu unterschätzender Aspekt virtueller Allgegenwart” ist die damit einhergehende Amputation von Erfahrung und Begreifbarkeit, die sogar im wissenschaftlichen Bereich, etwa durch die sich weitverbreitende Tendenz Experimente durch Simulationen zu ersetzen, nicht zu unterschätzende Probleme der Überprüfbarkeit aufwerfen wird (Schmutzer, 1987).

Das zuvor geschilderte Spezfikum telegener Kommunikation bedeutet auch in anderer Hinsicht mehr als nur den Verlust eines Schnörkels”in einer ansonsten gelungenen Kommunikation. Die Faschismus- und Autoritätsforschung macht sich nicht grundlos die Wirkungen veränderter Nähe und Ferne für die Messung autoritärer Einstellungen zunutze. Denn es ist verhältnismäßig einfach zu behaupten, man hätte nichts gegen Anhörige einer anderen Rasse, Religion oder Hautfarbe, wenn diese tausende Kilometer entfernt nur telematisch in Erscheinung treten. Der mögliche Hauch von Knoblauch und die anderen Hygienestandards bleiben ausgeklammert oder nur als Exotika auf Distanz wahrnehmbar. Eine grundsätzliche Änderung der angeblich toleranten Einstellung tritt mit der Veränderung der Entfernung auf. Möchten Sie einen Türken als Nachbarn, einen Neger als Schwiegersohn, fragen deshalb listig die Erforscher autoritärer Persönlichkeit. Bei diesem switch” switched dann meist auch die tolerante Haltung und wird zu ihrem Gegenteil.

Nun sollte man aber auch nicht übersehen, daß gerade jene xenophoben Einstellungen am liebsten dort gedeihen, wo die Pflege der Nähe zur Maxime und die Gewohnheiten des Alltags zur nicht durchbrechbaren Regel wurden. Davon weiß die zeitgenössische, österreichische Literatur anschaulich zu berichten.

Zuviel Nähe schafft offenbar genauso Probleme, wie zuviel Ferne. Die über etwa zwei Jahrhunderte hinweg praktizierte Lösung dieses Dilemmas in unserer Kultur war ein zeitlicher Mix von Ferne und Nähe durch die Trennung von Arbeitsplatz und Privatbereich, von privater Zeit und öffentlichem Raum. Ich meine, daß alle, die darauf Wert legen in einer demokratischen, funktionierenden, menschengerechten Gesellschaft zu leben, sorgfältig darauf zu achten haben, daß dieser Mix von Ferne und Nähe gewährleistet bleibt. Es liegt an den Architekten dafür zu sorgen, daß Nähe und nicht asylhafte Isolation entsteht. Und es liegt an den Informatikern, daß diese Nähe nicht zu eng wird, aber auch Ferne nicht so überhand nimmt, daß massive Entfremdung, Entwurzelung und Desorientiertheit daraus resultieren.

Do Artefacts have Politics?” fragte vor mehr als zehn Jahren L. Winner (1980) in einem inzwischen zum Klassiker gewordenen Artikel und beantwortete diese Frage mit einem klaren Ja”. Architekten und Informatiker sind, so wie alle Ingenieure, auch Politiker, auch wenn sie sich dessen nicht immer bewußt sind. Mit Ihren Tätigkeiten gestalten sie Gesellschaft. Ich bitte Sie nachdrücklich, sich dessen in allem was Sie tun und entwerfen, stets bewußt zu sein.

Literatur

Köhler, E., The Home as Electronic Work Place - An Overview of Research, in: F. van Rijn/R.Williams (eds.), 1988, op. cit.

Mason, R., Living in Tomorrowís Electronic Home Today, in: F. van Rijn/R.Williams (eds.), 1988, op. cit.

Rijn, F. van/R.Williams (eds.), Concerning Home Telematics, Proceedings of the IFIP TC 9 Conf., 24 - 27. Juni 1987, Amsterdam, North Holland Publ. Comp., Amsterdam, 1988

Riesman, D., Die einsame Masse, Rowohlt, Reinbek/H., 1982

Schmutzer, M.E.A., Paradigma Informatik, Manz, Wien, 1987

Winner, L., Do Artefacts Have Politics?, Daedalus, Winter 1980

 

 

 
 

 

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